5. April 2020

Ausgrenzung und Vertreibung der Juden 1933-1945

Übersicht über Judenverfolgung im Nationalsozialismus

1. April 1933

Boykott jüdischer Geschäfte

7. April 1933

Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Jüdische Beamte werden aus dem Dienst entlassen. In der Folge wurden Juden auch aus anderen Berufsgruppen verdrängt.

22. September 1933

Reichskulturkammer-Gesetz verbietet jüdisches Kulturschaffen.

15. September 1935

Verabschiedung des „Reichsbürgergesetz“ und „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ („Nürnberger Rassegesetze“)

26. April 1938

Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden

5. Oktober 1938

Kennzeichnung aller Reisepässe von Juden mit „J“

9.-11. November 1938

Von oben gelenkte Reichspogromnacht

12. November 1938

Verordnung über eine Sühneleistung der Juden (1Mrd. RM)

15. November 1938

Ausschluss der Juden aus öffentlichen Schulen

3. Dezember 1938

Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens („Arisierung“ jüdischer Gewerbebetriebe und anderen Vermögens)

1. Januar 1939

Einführung der zwangsweisen Zusatzvornamen „Israel“ bzw. „Sara“ für alle Juden

Ab September 1941

Anordnung zum Tragen des Judensterns (ab 19.9.1941)

Ab Oktober 1941

Deportationen der Juden in die Arbeits- bzw. Vernichtungslager im besetzten Polen

20. Januar 1942

Wannsee-Konferenz über die „Endlösung der Judenfrage“

Die so genannte „Brockenburg“, das Judenhaus auf der Sachsenstraße, in das die verbleibenden Juden Meiningens 1941 bis zur Deportation 1942 leben mussten. Foto: Stadtarchiv Meiningen.

Mai und September 1942

Deportationen der Meininger Juden

Im Mai 1942 deportierten die Nazis mindestens 41 jüdische Bürgerinnen aus Meiningen im Alter zwischen sieben und 62 Jahren in Richtung Osten. Im September 1942 folgte eine weitere Deportation, ein so genannter „Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt. Mindestens 35 Personen aus Meiningen, die meisten von ihnen älter als 70 Jahre, waren davon betroffen. Die jüdischen Meiningerinnen lebten vorher im Judenhaus auf der Sachsenstraße 5/6, wo sie auf ihre Deportation warten mussten. Ihr Besitz wurde vorher „arisiert“, das bedeutete nichts anderes, als dass der deutsche Staat, die Wirtschaft, Privatpersonen und Museen das Vermögen für wenig Geld an sich rissen. Bis heute sind Besitzverhältnisse nicht wirklich geklärt und es laufen noch unzählige Restitutionsverfahren.

Das ehemalige Judenhaus auf der Sachsenstraße steht heute leer. Die Gedenktafel von 1988 hängt nicht mehr am Haus und von außen erinnert nichts an das Haus und seine Geschichte.

Die Pogromnacht in Meiningen

Synagoge am Morgen des 10.11.1938, Foto: Stadtarchiv Meiningen, Bestand: Fotostudio Jahn.

In der so genannten Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 (oft auch „Reichskristallnacht“ genannt) zerstörten bzw. verwüsteten die Nazis und deren Sympathisanten die Synagogen in Deutschland und gingen gewaltsam gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger vor. Dabei handelte es sich nicht um eine spontane Aktion. Der flächendeckende Überfall auf jüdische Einrichtungen und Menschen, die die Nazis nach den Nürnberger Rassegesetzen als Juden definierten, war schon lange vorher geplant. Man wartete nur noch auf einen geeigneten Vorwand, um die Aktion in Gang zu setzen. Dieser war im November 1938 gegeben.

Anfang November 1938 erschoss der junge Jude Herschel Grynszpan (Grünspan ausgesprochen), den deutschen Botschaftsangehörigen und NSDAP-Mitglied Ernst vom Rath in Paris. Hintergrund war, dass Grynszpans Familie, wie viele andere polnische Juden, aus Deutschland nach Polen ausgewiesen wurde. Da Polen sich zunächst weigerte, diese Menschen ins Land zu lassen, irrten sie tagelang an der Grenze umher.

Aufgrund dieses Attentats wurde die Reichspogromnacht in Gang gesetzt.

Der Untersuchungshäftling Werner Gräf sagte 1946 zu den Vorgängen in Meiningen aus:

„Ich war seit Juli 1933 Mitglied der SA und seit 1. Mai 1937 Parteigenosse. … Am Abend des Sturmes auf die Synagoge nahm ich zuerst an einer Kundgebung im Schützenhaus teil. Nach Beendigung derselben Kundgebung hiess es, mein Sturm sammelt sich und marschiert gemeinschaftlich zu Meyer. … Tatsächlich wurden dann die Angehörigen des Sturmes in mehrere Gruppen eingeteilt. Ein Trupp sollte zur Synagoge, andere Gruppen wieder sollten die Juden aus ihren Wohnungen holen. Ich selbst hatte an der Angelegenheit kein Interesse und trachtete danach, nicht eingeteilt zu werden, was mir auch anfänglich gelang. Als mich dann ein Vorgesetzter im Lokal sitzen sah, befahl er mir, du machst mit, worauf ich mich entschloss, jenem Trupp nachzugehen, der zur Synagoge bestimmt war. Als ich in die Nähe der Synagoge kam, stellte ich vor allem fest, dass sich dort unheimlich viel Volk angesammelt hat. Ich sah, dass Steine geworfen wurden, auch wurde in das große Tor der Synagoge hineingehämmert. … Inzwischen wurde auch an der anderen hinteren Tür herumgehämmert. Als diese zur Hälfte einfiel, stiegen einige Leute ein und auch ich ging aus Neugierde, um einmal zu sehen, wie es im Inneren der Synagoge aussieht, in die Synagoge. Drinnen war aber eigentlich in Folge der Dunkelheit nicht viel zu sehen, nur einige Bänke waren umgestürzt. Ich bin deshalb herausgegangen….Während ich so dort saß erhielt ich den Auftrag, zusammen mit Jakob zu Stromwasser in die Kirchgasse zu gehen und dort einen Juden herauszuholen. Wir fanden auch den Gesuchten in der Wohnung, er lag bereits zu Bett, musste sich im Auftrag Jakobs anziehen und wurde von uns abgeführt…..

Auf Vorhalt gebe ich noch folgendes an: Als ich mich im Innern der Synagoge befand, musste ich sehr achtgeben, dass ich nicht getroffen wurde. Es flogen noch Steine durch das Fenster, von der Decke flog allerhand herunter, es war ein großer Tumult, weitere Bänke wurden umgestürzt, sodass ich den Eindruck gewann, dass Menschen im Innern der Synagoge waren, die ihr Zerstörungswerk noch nicht beendet hatten.“

(Quelle: Bräu, Ramona, Wenzel, Thomas (Hrsg): „ausgebrannt, ausgeplündert, ausgestoßen“. Die Pogrome gegen die jüdischen Bürger Thüringens im November 1938, Erfurt 2008, S. 164-166).

Karl-Heinz Dörsmann war damals 13 Jahre alt und ging in die Prinz-Friedrich Schule, heute Pulverrasenschule. Auf seinem Weg zur Schule lief er morgens an der Synagoge vorbei, so wie heute viele Schülerinnen und Schüler an dem Gedenkstein der Synagoge vorbeikommrn. Er konnte sich 1987 an folgendes erinnern:

„Als ich am Morgen des 11. Novembers an der Synagoge vorbeiging, war ein großer Auflauf vor und in dem Gebäude, was in der Nacht von der SA und der SS noch nicht zerstört war, wurde von vielen randalierenden Jugendlichen zerschlagen und in den Bleichgraben geworfen. Am ganzen Tag über schwammen Bücher, Orgelpfeifen und Bänke im Wasser. Unser Lehrer, Herr Langguth hat sich gegen die Zerstörung und das randalieren ausgesprochen und untersagte es jedem aus seiner Klasse bei diesem Unfug dabei zu sein.“

(Quelle: Stadtarchiv Meiningen, Forschungsarbeiten, Nr. 8: Helmuth Künzl, Fakten zur Geschichte der Juden in Meiningen, September 1988).

„Ich war bei der Firma Schneider – Bodenweg 1938 beschäftigt und fuhr einen Bus. Die Firma. Schneider wurde von der Stadtverwaltung beauftragt, die in der Kristallnacht im Rathauskeller verhafteten Juden nach Buchenwald zu fahren.

Wir fuhren an dem bewussten Morgen – nach der Kristallnacht am 11.11.38 mit 2 Bussen vor dem Meininger Rathaus. Der Markt war schwarz vor Leuten, sodass wir Mühe hatten, mit den Fahrzeugen an die Treppe heranzukommen. Die Stimmung der Menge war gegen die Juden. Hinter mir saß ein Meininger Pferdehändler. Dieser Jude war nach kurzer Zeit wieder in Meiningen, verkaufte sein Anwesen und ist ausgewandert. ….“

(Quelle: Stadtarchiv Meiningen, Forschungsarbeiten, Nr. 8: Helmuth Künzl, Fakten zur Geschichte der Juden in Meiningen, September 1988).

Nach der Pogromnacht durften jüdische Kinder nicht mehr auf staatliche Schulen gehen.

Stadtarchiv Meiningen. Bestand: Schulen, Prinz-Friedrich-Schule, Nr. 17.